Beinlängendifferenz (BLD)
Wie kommt es dazu?
Es gibt verschiedene Ursachen warum es zu unterschiedlich langen
Beinen kommen kann:
· Knochenbrüche
· Verletzungen der Wachstumsfuge
· Hüftgelenkserkrankungen (Morbus Perthes, Hüftdysplasie,…)
· Knochentumoren (Morbus Ollier, Knochenzysten, Morbus
Recklinghausen,…)
· Gelenksentzündungen (eitrige Gelenksentzündung im Säuglingsalter,
Osteomyelitis,…)
· Angeborene Fehlbildungen (Congenitaler Femurdefekt,
Fibulahemimelie, Unterschenkelpseudoarthrose –CPT,…)
· usw.
Behandlung
Einteilung:
Bevor eine Behandlung eingeleitet wird, muss zunächst festgestellt
werden, um welche Art der Beinlängendifferenz es sich im konkreten
Fall handelt:
• funktionelle Beinlängendifferenz (durch eingeschränkte
Gelenksbeweglichkeit oder Muskelverkürzungen bedingt)
• anatomische Beinlängendifferenz (unterschiedliche Knochenlängen)
Ab wann muss eine Beinlängendifferenz behandelt werden?
• Geringe Beinlängendifferenzen bis 1 cm müssen nicht behandelt
werden.
• Beinlängendifferenzen zwischen 1 und 2 cm stellen einen
„Graubereich“ in der medizinischen Literatur dar, dh.: es gibt keine
eindeutigen Behandlungsrichtlinien. Man muss sich dabei je nach
Alter, Beschwerden und der Vorgeschichte des Patienten entscheiden.
• Beinlängendifferenzen über 2 cm sollen behandelt werden.
Behandlungsmethoden
nicht chirurgisch:
• Schuherhöhung (mit einer Erhöhung der Einlage oder
Schuhsohlen-Aufdoppelung auf der kürzeren Seite)
• Orthopädisches Schuhwerk
• Orthesen bzw. Prothesen
chirurgisch:
• Wachstumslenkung
• (Verkürzung des längeren Beines)
• Verlängerung des kürzeren Beines
Wachstumslenkung
Was ist das?
Im Wachstumsalter kann durch die „Bremsung“ der Wachstumsfuge des
längeren Beines ein Ausgleich der Beinlängendifferenz erreicht
werden.
Das gleiche Prinzip kommt auch bei der Korrektur von Fehlstellungen
im Wachstumsalter zur Anwendung.
Um den richtigen Zeitpunkt für den Eingriff zu ermitteln, ist die
Erstellung einer Wachstumsprognose wichtig.
Um eine möglichst genaue Vorhersage treffen zu können, wird dafür
das Knochenalter (biologisches Alter) des Patienten ermittelt (z.B.
nach Greulich und Pyle).
Danach wird eine Einschätzung des noch zu erwartenden
Längenwachstums der entsprechenden Knochen getroffen.
Operationstechnik
· Operation nach Canale:
Dabei wird die Wachstumsfuge in minimalinvasiver Technik über eine
kleinen Hautschnitt im Bereich des Kniegelenks eröffnet.
Mittels einer kleinen Bohrung wird eine knöcherne Brückenbildung
eingeleitet, welche zum Stopp der betreffenden Wachstumsfuge führt.
· Wachstumsbremsung mit der sog.„eigth-plate“:
Dabei handelt es sich um ein kleines Implantat (bestehend aus einem
kleinen Blättchen und zwei Schrauben), das in schonender,
minimalinvasiver Technik beidseitig am Knie platziert wird und das
Längenwachstum des Beines vorübergehend bremst.
Wenn beide Beine wieder gleich lang sind, werden die
„eigth-plates“ wieder entfernt, ohne die Wachstumsfuge dabei zu
verletzen.
Im Einzelfall muss nach Abwägung der Vor,- und Nachteile der beiden
Methoden entschieden werden, welche am besten für den Patienten
geeignet ist.
Verlängerung des kürzeren Beines
Wenn man einen Knochen durchtrennt (an einer geeigneten Stelle und
in der richtigen Technik) und die Knochenenden im Anschluss sehr
langsam mit 1 mm pro Tag auseinanderzieht, bildet sich neuer
Knochen.
Dieses Prinzip wird als Kallusdistraktion oder
Distraktionsosteogenese bezeichnet.
Das Weichteilgewebe rund um den Knochen (Muskeln, Sehnen, Nerven,
Haut,…) wächst dabei langsam mit.
Abhängig von Alter und Größe des Patienten bzw. gleichzeitigem
Vorhandensein einer Deformität (Fehlstellung), kommen dabei zwei
Behandlungsmethoden zur Anwendung:
• Der Fixateur Externe - Taylor Spatial Frame
Eine von außen durch das Weichteilgewebe angebrachte
Haltekonstruktion (Ilizarov-Konzept), die entweder ringförmig um das
Bein oder mit einer einseitig angebrachten Schiene stabilisiert
wird.
• Der Verlängerungsmarknagel Typ Fitbone®
Ein in den Markraum des Knochens eingebrachter Nagel, der den
Knochen teleskopartig verlängert.
Das System funktioniert völlig unter geschlossener Haut, ohne von
außen eingebrachter Bohrdrähte und Pins.
Eine im Weichteilgewebe unter der Haut platzierte Empfangsantenne
versorgt den Verlängerungsmarknagel mit Energie.
Aus biologischer Sicht funktionieren beide Systeme nach denselben
Prinzipien, aber auf völlig unterschiedliche Weise.
Angeborene Fehlbildungen (Kongenitaler
Femurdefekt – CFD, Fibulahemimelie, Tibiapseudarthrose - Congenital
Pseudarthrosis of the Tibia CPT)
Allen angeborenen Fehlbildungen ist gemeinsam, dass sie sehr selten
vorkommen und ein hohes Fachwissen erforderlich ist, um eine
erfolgreiche Behandlung zu gewährleisten.
Das Orthopädische Spital Speising behandelt österreichweit die
meisten dieser Fehlbildungen und verfügt über große Erfahrung auf
diesem Spezialgebiet.
Kongenitaler Femurdefekt-CFD (proximaler Femurdefekt, PFFD)
Was ist das?
Beim kongenitalen Femurdefekt (CFD) handelt es sich um eine
angeborene Verkürzung des Oberschenkelknochens (femur).
Die Bandbreite reicht dabei von einer geringen Verkürzung bis zu
ausgeprägten Verkürzungen mit Gelenksfehlstellungen oder
vollständigem Fehlen des Femurs.
Klassifikation
Es gibt unterschiedliche Einteilungen, die je nach Schweregrad der
Erkrankung verschiedene Typen des CFD unterteilen:
· Nach Aitken
· Nach Pappas
· Nach Paley (heutzutage am gebräuchlichsten, da klinisch relevant)
Behandlung
Bei der Behandlung wird das Hauptaugenmerk auf Beinlänge, Beinachse
und die Stabilisierung der Gelenke gerichtet.
Wenn die Beinlängendifferenz nicht zu groß ist, kann diese mit einer
orthopädischen Schuhzurichtung bzw. Orthesen ausgeglichen werden.
Abhängig wie stark das Hüft-, und Kniegelenk mit betroffen sind bzw.
wie ausgeprägt die Oberschenkelverkürzung und die Fehlstellung ist,
kommen verschiedene chirurgische Behandlungen zur Anwendung.
Oft ist eine Oberschenkelverlängerung mittels Fixateur externe
(Tailor Spatial Frame) ausreichend.
Wachstumslenkende Eingriffe müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls
in Erwägung gezogen werden.
Manchmal muss aber vorher ein rekonstruktiver Eingriff am Hüft-,
oder Kniegelenk durchgeführt werden.
Basis jeder Behandlung sind eine eingehende klinische Untersuchung
und eine bildgebende Abklärung mittels Röntgen und MRT.
Fibulahemimelie (Fibulaaplasie, Fibulahypoplasie)
Was ist das?
Bei der Fibulahemimelie handelt es sich um eine angeborene
Verkürzung des Unterschenkels.
Es kommt dabei zu einer Verkürzung (Hypoplasie) oder zu einem Fehlen
(Aplasie) des Wadenbeines (Fibula).
Häufig ist diese Erkrankung mit einer Sprunggelenks-, und
Fußfehlbildung sowie einer Oberschenkelverkürzung (CFD)
vergesellschaftet.
Klassifikation
• Achtermann und Kalamchi
- Typ Ia: Verkürzung des Wadenbeines im oberen Bereich
- Typ Ib: Verkürzung des gesamten Wadenbeines mit
Fehlbildung der Sprunggelenksgabel
• Typ II: Fehlen des Wadenbeines
Behandlung
Wie beim Congenitalen Femurdefekt wird bei der Behandlung der
Fibulahemimelie das Hauptaugenmerk auf Beinlänge, Beinachse und die
Stabilisierung der Gelenke gerichtet.
Wenn die Beinlängendifferenz nicht zu groß ist, kann diese mit einer
orthopädischen Schuhzurichtung bzw. Orthesen ausgeglichen werden.
Je nachdem wie stark der Fuß und das Sprunggelenk mit betroffen ist,
muss vor einer Beinverlängerung eine Korrektur der Fußfehlstellung
durchgeführt werden.
Wenn das Wadenbein gänzlich fehlt, ist in der Regel die Entfernung
der sog. Wadenbein-Anlage (Bindegewebsstrang) notwendig, um weitere
rekonstruktive Eingriffe zu ermöglichen.
Wachstumslenkende Eingriffe müssen in diesem Zusammenhang ebenfalls
in Erwägung gezogen werden.
Basis jeder Behandlung ist auch hier eine eingehende klinische
Untersuchung und eine bildgebende Abklärung mittels Röntgen und
gegebenenfalls MRT.
Tibiapseudarthrose (Congenital Pseudarthrosis of the
Tibia-CPT)
Was ist das?
Bei der Tibiapseudarthrose handelt es sich um eine angeborene
Knochenbildungsstörung im unteren Bereich der Tibia
(Unterschenkelknochen).
Diese Fehlbildung ist in der Regel mit einer Antekurvation
(Verbiegung des Unterschenkels nach hinten) und Varusfehlstellung
(O-Bein) der Tibia verbunden.
Das Wadenbein ist häufig ebenfalls mit-betroffen.
In ca. 50% der Fälle tritt die Tibiapseudarthrose im Rahmen einer
Neurofibromatose auf.
Klassifikation
In der Einteilung nach Crawford wird an Hand der Schweregrade Typ
I-IV unterteilt.
Bei der mildesten Verlaufsform kommt es nur zu einer leichten
Knochenverbiegung.
Bei der schwersten Form kommt es zu einer Unterbrechung der
knöchernen Verbindung in Kombination mit einer starken Fehlstellung
und Beinverkürzung.
Behandlung
Die Behandlung der Tibiapseudarthrose kann schwierig und langwierig
sein.
Grundsätzlich soll, so lange wie es die Problematik zulässt, mit
einer stabilisierenden Unterschenkel-Orthese behandelt werden.
Je älter der Patient ist, desto erfolgversprechender ist ein
chirurgischer Eingriff, bei dem das erkrankte Knochenareal entfernt
werden muss.
Das fehlende Knochenstück wird entweder mit Hilfe eines sog.
Segmenttransportes oder mit einer Transplantation des Wadenbeines
ersetzt.
Tibiaaplasie (Tibiahypoplasie)
Was ist das?
Die Tibiaaplasie ist eine sehr seltene, angeborene Fehlbildung, bei
der es entweder zu einer Verkürzung (Hypoplasie) oder einem
vollständigen Fehlen (Aplasie) der Tibia (Unterschenkelknochen)
kommt.
Häufig ist dieses Krankheitsbild mit einer Fußfehlbildung
vergesellschaftet.
Klassifikation und Behandlung
Je nach Schweregrad werden in der Klassifikation nach Kalamchi und
Dawe 3 Typen unterschieden:
•
Typ I (die Tibia fehlt):
Zentralisation des Wadenbeines und Stabilisierung des Kniegelenkes
•
Typ II (Fehlen der unteren Hälfte der Tibia):
Verbindung von Tibia und Fibula (Wadenbein) zur Stabilisierung des
Kniegelenkes + Fibulatransplantation
•
Typ III (Tibiahypoplasie mit Auseinanderweichen von Tiba +
Fibula)
Stabilisierung und Reposition des Sprunggelenkes mittel Fixateur
Externe
Bei allen drei Typen ist zusätzlich eine Versorgung mit
orthopädischen Hilfsmitteln notwendig.
Curs recurvatum valgum (posteromedial Tibial bowing)
Was ist das?
Beim Crus recurvatum valgum handelt es sich um eine angeborene
Fehlstellung des Unterschenkelknochens, kombiniert mit einem nach
innen geneigten Fersenbein (Valgusstellung).
Die Tibia (Unterschenkelknochen) ist dabei nach vorne und außen
gebogen, was damit auch den normal geformten Fuß in eine
Fehlposition bringt.
Merkmale des Crus recurvatum valgum:
• Biegung des Unterschenkels nach vorne und außen
• Verkürzung des Unterschenkels (Beinlängendifferenz)
• Fersenvalgus (nach innen geneigtes Fersenbein)
• Schwäche der Wadenmuskulatur
Behandlung
In der Regel ist nach der Geburt zunächst keine spezielle Behandlung
erforderlich.
Die Fehlstellung zeigt im Laufe des Wachstums eine starke
Besserungstendenz.
Zum Zeitpunkt des Gehbeginns,- kann stabilisierendes Schuhwerk
vorteilhaft sein.
In manchen Fällen bleibt aber ein Teil der Unterschenkelfehstellung
(die Biegung nach außen) und eine Beinlängendifferenz zurück.
In diesen Fällen kann man mit wachstumslenkenden Eingriffen oder mit
einer Beinverlängerung inkl. Korrektur der Beinachse die Deformität
(Fehlstellung) beseitigen.
Voraussetzung dafür sind regelmäßige fachärztliche Kontrollen, um
die richtige Behandlung zum richtigen Zeitpunkt durchführen zu
können.